Zum Inhalt springen

Cybermobbing: Wenn Beleidigungen zum Alltag werden

Egal ob Kinder als Influencer oder Kinder, die im Internet surfen: Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass sie im Netz mit Hass konfrontiert werden. Cybermobbing ist ein modernes Problem, das vor allem Kindern zu schaffen macht. Sie sind für das Mobbing im Netz besonders empfänglich, da sie viel verletzlicher sind als Erwachsene.

Die JIM-Studie (Jugend, Information, Medien) des Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest belegt: Jeder fünfte Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren ist 2018 schon einmal mit Hasskommentaren in Berührung gekommen – unter anderem über WhatsApp. So ist es auch  bei der 13-jährigen Mia*geschehen, die über den Messenger-Dienst WhatsApp gemobbt wurde. In Gruppen-Chats der Schulklasse musste sie Beschimpfungen wie „Du Hässliche” oder “Du Schreckschraube” über sich ergehen lassen. Jeden Tag gab es dort neue negative Sachen über sie zu lesen. Teilweise haben ihre Mitschüler sogar damit gedroht, ihr körperlich etwas anzutun. „Da hatte ich echt Angst, zur Schule zu gehen“, sagt Mia im Nachhinein. Irgendwann wurde Mia von bestimmten WhatsApp-Gruppen ihrer Klassenkamerad*innen ausgeschlossen, hinter ihrem Rücken wurde sie weiter gemobbt.

Anteil der Jugendlichen, die Cyber-Mobbing über das Handy oder Internet kennen

Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, in deren Bekanntenkreis schon einmal jemand über das Handy oder das Internet fertiggemacht wurde, ist seit 2013 relativ konstant geblieben. Zwischen 32 und 38 Prozent der Befragten gaben an, entsprechende Fälle mitbekommen zu haben. 

Mia ist kein Einzelfall, wie die Zahlen zeigen: Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, in deren Bekanntenkreis schon einmal jemand über das Handy oder das Internet fertiggemacht wurde, ist in den vergangenen 6 Jahren relativ konstant hoch geblieben. Zwischen 32 und 38 Prozent der Befragten gaben an, entsprechende Fälle mitbekommen zu haben. Cybermobbing ist demnach ein ernstzunehmendes Problem.

Anne de la Motte vom Diakonischen Werk Leverkusen berät Eltern, Kinder und Jugendliche, wenn sie mit Problemen wie Cybermobbing zu ihr kommen. Sie sagt, Cybermobbing habe meist noch stärkere Wirkkraft als Mobbing im realen Alltag: „Das kommt daher, dass die Gruppe an potenziell beteiligten Mobbern meist größer ist und eine größere Öffentlichkeit hergestellt wird, vor der sich die gemobbte Person schämt.“ Hinzu kommt die kleinere Hemmschwelle, im Internet etwas Verletzendes zu posten. Zudem ist die Dimension des Mobbings hier eine viel größere: „Online veröffentlichte Inhalte können weiter geteilt werden, das Netz vergisst nie.”

Das kennzeichnet Mobbing:

Von Mobbing spricht man, wenn folgende vier Punkte zutreffen:

  • Wiederholung: Angriffe müssen über einen längeren Zeitraum auftreten
  • Verletzende Absicht: Der Täter handelt gezielt, um Opfer Schaden zuzufügen
  • Kräfteungleichgewicht: Zwischen Täter und Opfer besteht ein ungleiches Kräfteverhältnis.
  • Hilflosigkeit: Das Opfer fühlt sich dem Täter ausgeliefert

Cybermobbing “einfach” ignorieren?

Mia hat zunächst versucht, alles zu ignorieren, was auf sie einprasselte. Peter Sommerhalter vom Bündnis Cybermobbing e.V. rät dazu, grundsätzlich nicht auf beleidigende Chat-Kommentare zu antworten: „Hier geht es darum, kein neues Öl ins Feuer zu gießen.“ Bei Mia ging das Mobbing allerdings weiter, sowohl online als auch offline. Sie hat sich irgendwann damit abgefunden, beleidigt zu werden, bezeichnet es gegenüber ihrer Mutter sogar als „normal“ und „nicht weiter schlimm“.

Längerfristiges Cybermobbing kann gravierende Folgen haben. Der Stress, der durch die täglichen Mobbingattacken entsteht, kann krank machen, sagt Erziehungsberaterin Anne de la Motte. Auch das Sozialverhalten des Kindes kann sich verändern, damit es sich vor weiteren Verletzungen schützen kann.

Mit der Zeit bemerkte Mias Mutter, dass sich ihre Tochter anders verhält als sonst: „Sie veränderte ihre Sprache und wirkte aggressiver.“ Offenbar, so vermutet die Mutter, weil Mia aufgrund der Vorkommnisse immer häufiger in Angriffsstellung sein muss. Daraufhin fing Mias Mutter an, zu beobachten, was in den WhatsApp-Gruppen vor sich geht. Ständige Handykontrollen gehörten von nun an zum Alltag. „Das ist keine Frage des Vertrauens, sondern meine Rolle als Mutter, das zu tun.“ Für eine kurze Zeit hat Mias Mutter WhatsApp sogar komplett vom Handy gelöscht. Das hat die Situation kurzzeitig ein wenig entspannt und  Mia hat dadurch keine problematischen Chats mehr mitbekommen.

Die eine Lösung gegen Cybermobbing gibt es nicht

Ein striktes Verbot von Handy oder sozialen Netzwerken ist jedoch kein Allheilmittel gegen Cybermobbing, sagen Expert*innen. Im Gegenteil: Das führt laut Peter Sommerhalter vom Bündnis Cybermobbing e.V. eher dazu, dass das Cybermobbing-Opfer zum Freundeskreis keinen Kontakt mehr hat und somit noch mehr isoliert wird. „Ein Teil der Lebenswelt junger Menschen ist eben, dass ihre Freunde online sind und ihr Sozialleben unter anderem dort stattfindet.“ Mia weiß, was das bedeutet; sie hat während des zwischenzeitlichen Handyverbots viel verpasst, konnte keine Freunde treffen und ein Austausch mit Mitschüler*innen fand so gut wie gar nicht mehr statt. Wenn sie darüber spricht, merkt man ihr an, dass sie das auch heute noch traurig macht.

Eine simple Pauschallösung, um Cybermobbing zu verhindern, gibt es ohnehin nicht. Das Bündnis Cybermobbing e.V. will erreichen, dass auch Menschen, die sonst wegschauen würden, zum Teil einer Lösung gegen Cybermobbing werden. Unter anderem veranstaltet der Verein Präventivprogramme an Schulen, die Lehrkräfte, Schüler*innen sowie Eltern einbeziehen und über Cybermobbing aufklären. Das geschieht mithilfe von didaktischem Material und Impuls-Vorträgen.

Zudem sei in vielen Klassen der Werterahmen deutlich verschoben.  Grundgesetze oder Klassenregeln gelten hier nicht mehr. Das gilt es, wieder gerade zu rücken. „Das funktioniert nur durch Kantezeigen”, meint Peter Sommerhalter vom Bündnis Cybermobbing e.V. Die Lehrkraft müsse ihren Schülern vorleben, dass respektloses Verhalten nicht geduldet wird, schließlich seien Lehrer*innen genau wie Eltern ein Vorbild  für Schüler*innen . An einem einzelnen Projekttag während eines Schuljahres könne das aber nicht gelingen, stattdessen sollte wöchentlich in ein oder zwei Schulstunden über Mobbing und den entstehenden Konsequenzen gesprochen werden.

Mias Klassenlehrer spricht sich zwar auch gegen Mobbing aus. „Aber den sehen wir viel zu selten, weswegen er viele Sachen nicht mitbekommt“, sagt Mia. Immerhin: In Anwesenheit des Klassenlehrers bleibt das Mobbing aus, “die Mädchen, die mich mobben, verhalten sich dann ganz anders”. Sobald der Klassenlehrer aber weg ist, gehen die Erniedrigungen für Mia weiter.

Opfer können sich Hilfe holen

Mia hat das Glück, dass sich ihre Mutter stark für sie einsetzt und im Zweifelsfall die Täter zur Rede stellt. Bekommt man diese Hilfe weder von den eigenen Eltern noch von der Schule, gibt es verschiedene Beratungsstellen, an die sich Kinder und Jugendliche wenden können. Die “Nummer gegen Kummer” zum Beispiel ist eine kostenfreie und anonyme Telefon-Hotline, bei der Betroffene in schwierigen Zeiten Unterstützung erhalten. Zuerst geht es darum, ihnen zuzuhören sowie da zu sein und weniger darum, Ratschläge von der Stange zu geben.

„Jeder Mensch ist anders, jedem hilft was anderes. Deswegen schauen wir individuell, wie es der Person geht und was dieser Person im Moment helfen kann“, sagt Nina Pirk, Fachberaterin für Kinderschutz im Internet von „Nummer gegen Kummer“. Hier geht es vor allem darum, die eigenen Ressourcen zu stärken und zu mobilisieren. Ein wichtiger Grundsatz für die Beratung ist „Hilfe zur Selbsthilfe“. Denn eingreifen können die telefonischen Mitarbeiter*innen freilich nicht, sie können jedoch sehr wohl Wege aufzeigen, wie man sich selbst in dieser misslichen Lage helfen kann.

Mia hat ihren Weg gefunden: Heute weiß sie mit ihren Mobbern umzugehen, lässt sich nicht mehr alles gefallen und gibt Konter. Wird sie im Internet beleidigt, wehrt sie sich mit entsprechend klaren Worten. „Kommt dann nochmal was von denen, blocke ich die einfach und dann kommt gar nichts mehr.”

*Name von der Redaktion geändert

Hier könnt ihr euch kostenlos und anonym Hilfe holen:

  • JUUUPORT berät Jugendliche bei Anliegen rund um Cybermobbing und Stress in sozialen Medien. Über ein Beratungsformular kann man sich an die ehrenamtlich arbeitenden Jugendlichen wenden.
  • Die Nummer gegen Kummer unterstützt sowohl Kinder und Jugendliche als auch Eltern über entsprechende Telefon-Hotlines.
  • Die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr für euch da, wenn ihr mit jemandem über eure Probleme sprechen wollt. Unter 0800 111 0 111 könnt ihr jederzeit anrufen.
  • Weitere Informationen zum Thema Cybermobbing gibt es u.a. bei Klick-Safe zu lesen und unter Bündnis gegen Cybermobbing e.V.

Die Autoren