Zum Inhalt springen

Kinderfotos in sozialen Netzwerken – Ein Tabu oder schon Normalität?

Eileens Wochentage beginnen fast immer gleich. Sie steht auf, macht sich fertig, weckt ihre zwei Kinder, kleidet sie an und anschließend geht es für die Vierjährige auch schon in den Kindergarten. Der zweijährige Sohn bleibt den Vormittag über bei ihr. Wenn alle Aufgaben im Haushalt erledigt sind und der Kleine seinen Mittagsschlaf hält, hat Eileen Zeit für sich. Das genießt sie, denn der Alltag mit zwei Kindern ist nicht immer leicht. Auf die Unterstützung ihres Ehemannes kann sie nur am Wochenende zählen. Unter der Woche arbeitet dieser in einer anderen Stadt und ist daher nur von Freitag bis Sonntag bei der Familie. Neben dem üblichen Alltagsstress verbringt Eileen ihre freie Zeit gerne auf Instagram (@einsundzweimachtvier). Dort nimmt sie ihre knapp 600 Abonnent*innen regelmäßig mit durch den Mama-Alltag und tauscht sich mit anderen Eltern aus. Am Wochenende bleibt die Instagram-App aber geschlossen, denn dann ist Familienzeit angesagt.

Eileen ist nur eine von zahlreichen Mama-Bloggern auf Instagram. Sie nimmt ihre Abonennt*innen zwar mit durch den Alltag und freut sich über den Austausch, doch eines war ihr bereits beim Download der App klar: Sie möchte ihre zwei Kinder nicht öffentlich präsentieren. „Kinder sollen, wenn sie alt genug sind, selbst entscheiden, ob sie auf sozialen Netzwerken gezeigt werden möchten oder nicht.“ Obwohl Eileen die Gesichter ihrer Kinder nicht zeigt, kommt es dennoch vor, dass eines der beiden beim Aufnehmen einer Instagram-Story zufällig durch das Bild huscht. Dann macht sie sich schon ihre Gedanken und überlegt gleich dreimal, ob sie diese Story wirklich hochladen soll. Beispielweise dann, wenn sie vom wöchentlichen Kinderturnen mit ihrem Sohn erzählt.

einsundzweimachtvier: Sommerferien in 3, 2, 1. Instagram, 15.07.2019, https://www.instagram.com/p/Bz7VTbUi7_Y/

Doch Eileen ist mit ihren Ängsten und Gedanken nicht allein. Arzu (@arzuu.loves) geht es ähnlich. Mit einem Unterschied: Sie hat mit ihren 7.000 Abonnent*innen ein paar mehr als Eileen und verdient auch teilweise Geld damit. Nach der Geburt ihrer Tochter im Mai 2019 kam auch sie an den Punkt, an dem sie sich erstmals Gedanken darüber machte, ob sie ihr Kind auf Instagram öffentlich zeigen möchte oder nicht. Sie versuchte, genau wie Eileen, einen Mittelweg zu finden. Arzu postet daher ab und an Beiträge in ihrem Feed, auf denen ihre Tochter zu sehen ist, jedoch ohne Gesicht. Auf einem Bild sieht man ihre Tochter allerdings komplett. „Das ist das erste und letzte Bild dieser Art.“ versichert sie. Die junge Frau aus Hannover traf ihre Entscheidung ganz unabhängig von den Handhabungen anderer Blogger*innen. Sie wollte für sich einfach die perfekte Mitte finden. 

Kampagne gegen Kinderfotos im Netz

Kinderfotos auf sozialen Netzwerken wie Instagram und Co. sind schon lange keine Seltenheit mehr. Der Alltag wird mit dem Handy eingefangen und in Foto- und/oder kurzen Videosequenzen festgehalten, schnell mit Filtern und Effekten nachbearbeitet und im Anschluss veröffentlicht. Auf den ersten Blick sieht alles ganz niedlich aus, doch es ist Vorsicht geboten. Die Podcasterin und Bloggerin Toyah Diebel (@toyahgurl) startete im Jahr 2019 eine Kampagne gegen Kinderfotos im Netz. Dabei stellte sie gemeinsam mit Schauspieler Wilson Gonzales Ochsenknecht typische Situationen nach, in denen Kinderfotos entstehen. Beispielsweise Mamas, wie sie ihre Kinder stillen oder schlafende Kinder, denen aus dem offenen Mund etwas Sabber heraustropft.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Am heutigen Tag machen wir uns stark für die Rechte von Kindern. Tolle Sache, aber gelten diese in Zeiten von Instagram und Co. auch im Internet? Eher nicht. Wir selbst wollen auf unseren Profilen und Accounts immer im besten Licht und bestem Filter wahrgenommen werden, bei unseren Kindern sind wir da aber nicht so streng. Egal ob diese weinen, lachen oder schlafen, alles wird gepostet, dokumentiert und kommentiert. Selbst Kinder auf dem Töpfchen sitzend, vollgekotzt oder nackt in der Badewanne finden wir gerade gut genug, um diese dann ins Internet zu laden. Privatsphäre? Nein, danke. Damit verstoßen wir tagtäglich gegen die Rechte von Kindern. Wir schicken sie auf Fotos und Stories durchs Netz, haben keine Ahnung, von wem die Bilder eigentlich gesehen und weiter verschickt werden und unsere Kinder erst recht nicht. Mamabloggerinnen lassen ihre Mininfluencer ganze Modekollektionen präsentieren, lassen sie Hauls und Tutorials machen, dabei süß und lustig gucken, bitte nicht vergessen. Das Ganze verkaufen sie dann als harmlosen Spaß, der den Kleinen angeblich ganz, ganz große Freude bereitet. Ist klar. Wie sonst soll man die Kooperationen rechtfertigen, die schließlich ein paar Euros in die elterliche Kasse oder kostenloses Spielzeug ins Film-Set spülen, Pardon, ich meinte ins Kinderzimmer. Dieses ist sowieso schon längst kein Rückzugsort mehr, sondern allenfalls ein inszenierter Foto-Hintergrund aus Rabattcode-Ware, für extra tollen Content. Selbst die Kleinsten unter uns werden ab dem Zeitpunkt der Befruchtung dem Internet präsentiert. Ultraschallbilder, Geburts-Selfie, sogar der Live-Stream der Geburt wird mit Hinz und Kunz geteilt, egal ob man sich kennt oder nicht, total egal, Hauptsache, es hagelt genug Likes. Was der später mal erwachsene Mensch wohl mal davon hält? Auch egal, kann man ja löschen dann, also vielleicht, irgendwie halt. Geht nicht? Ach, keine Ahnung, auch nicht so schlimm. Wir wollen Anerkennung für alles, was wir tun, egal von wem, Hauptsache von vielen. Doch ob unsere Kinder das auch möchten, müssen sie irgendwann selbst entscheiden dürfen. Wir sind dafür verantwortlich, dass die Rechte von Kindern eingehalten werden, auch im Internet.

Ein Beitrag geteilt von Toyah Diebel (@toyahgurl) am

toyahgurl: Am heutigen Tag machen wir uns stark für die Rechte von Kindern. Instagram, 30.11.2019, https://www.instagram.com/p/B5FWd7mofng/

Mithilfe dieser nachgestellten Szenen sollte den Betrachtern bewusst gemacht werden, wie entwürdigend die unüberlegte Veröffentlichung solcher Fotos sein kann. Wenn man das Ganze aus der Sicht der Kinder betrachtet, sollte einem schnell klar werden, dass die Kinder gar kein Mitspracherecht haben, welche Bilder von ihnen auf sozialen Netzwerken wie Instagram oder Facebook veröffentlicht werden. Erwachsene bestimmen stets selber, was sie für Fotos und/oder Videos von sich im Internet hochladen. Kinder können das in den meisten Fällen nicht. Diebel wollte mit ihrer Aktion eines schaffen: Bewusstsein. Jedes Elternteil soll selbst entscheiden, ob es ihr Kind auf sozialen Netzwerken präsentieren möchte oder nicht. Jedoch sollten sie dabei immer im Hinterkopf behalten, was es für Gefahren mit sich bringen kann, wenn Kinderfotos einmal im Internet hochgeladen wurden. So einfach lassen sich hochgeladene Bilder nämlich nicht mehr löschen. Was einmal im Internet ist, bleibt ewig dort. Leider spielt dabei auch das Thema Pädophilie eine sehr große Rolle.

Wenn man Eileen nach ihren Ängsten und Sorgen bezüglich des Themas fragt, dann gibt sie ehrlich zu, dass sie schon ab und an verunsichert ist: „Je mehr man im Internet erzählt, umso leichter ist es, an Kinder heran zu kommen.“ Sie findet den Gedanken schlimm, dass die Kinder beispielsweise auf der Straße mit dem Namen angesprochen werden und fremde Personen nahezu die gesamte Lebensgeschichte der Sprösslinge kennen. Und diese Gefahren sind auch Arzu durchaus bewusst. Obwohl sie sich dazu entschieden hat, ihre Tochter ausschließlich ohne einen Ausschnitt des Gesichts auf Instagram zu zeigen, macht sie sich dennoch des Öfteren Gedanken über das Thema und ist besorgt. Sie vergleicht die Gefahren mit dem „Bösen Auge“, welches im türkischen auch „Nazar“ genannt wird. „Es gibt einfach viel zu viele Menschen, die einem nichts gönnen und zudem keine guten Absichten haben.“, so Arzu.

Bewusstsein schaffen

Alle Eltern möchten ihre kleinen Schützlinge vor Gefahren aller Art bewahren, bevor diese in der Lage sind eigene Entscheidungen zu treffen. Aber ist auch allen Eltern, welche Bilder ihrer Kinder in den sozialen Netzwerken veröffentlichen, tatsächlich bewusst, was mit Bildern solcher Art passieren kann? Und welche Konsequenzen das Hochladen dieser Bilder möglicherweise sogar mit sich bringen kann?

Bei vielen Profilen gehören die Kinder mit dazu, sollten aber dennoch nicht der Hauptbestandteil des Instagram-Profils sein. Jeder sollte dabei auf seine eigene Art und Weise die für sich richtige Entscheidung treffen, dabei aber immer an den Schutz und die Privatsphäre der Kinder denken. Die Lösung muss also gar nicht sein, dass Eltern, welche bislang immer Fotos ihrer Kinder gepostet haben, nun ganz darauf verzichten. Sie sollten sich nur zu 100% darüber bewusst sein, was sie tun und ob sie damit ihrem Kind möglicherweise schaden. Sie können trotzdem Dinge aus dem Alltag zeigen und dennoch nichts zu Privates preisgeben. Im Endeffekt bleibt der Umgang mit dem Thema jedem selbst überlassen. Dennoch sollten sich alle über die Auswirkungen bewusst sein. Der Zauber der Kindheit verfliegt viel zu schnell. Eltern sollten alles dafür geben ihren Schützlingen eine unbeschwerte und vor allem sichere Kindheit zu bieten. Denn niemand möchte, dass seine Kinder von wildfremden Menschen auf der Straße erkannt und angesprochen werden, nur weil zu viele Bilder des Kindes im Internet kursieren, oder?

Die Autorin