Schokoladenkekse, bunte Gummibärchen und neugierige Kinderaugen, die gebannt auf einen Bildschirm vor ihnen starren. Es ist Samstagnachmittag und ich habe eingeladen zu dem Workshop YouTube & Werbung, um herauszufinden, wie ausgeprägt die Rezeptionskompetenz der Kinder in Bezug auf YouTube und Werbung ist. „YouTube ist doch auch Fernsehen“, so die erste Antwort auf meine Frage nach dem Unterschied zwischen YouTube und TV. Ein anderes Kind klärt auf und erzählt, YouTube sei „sowas Ähnliches wie ein Sender, da sind viele Videos und man kann eingeben, was man möchte oder bei der Startseite gucken, was man mag und jeder kann sich frei aussuchen, was man gucken möchte“.
Ablauf des Workshops
Leonie*, Finn*, Daria* und Selina* sind achtjährige Grundschüler*innen, die mich begeistert angucken als ich ihnen erzähle, dass wir heute über YouTube und Werbung sprechen werden. Ich beginne den Workshop damit, dass wir gemeinsam Begriffe wie Internet, Fernsehen, Werbung und YouTube definieren, um die Kinder alle dort abzuholen, wo sie mit ihrem Wissensstand stehen. Danach zeige ich ihnen Videos von Mini-Influencer*innen, in denen sich versteckte und offensichtliche Produktplatzierungen finden lassen, und möchte, dass die Kinder diese Inhalte sowie das persönliche Nutzungserlebnis bewerten. Zum Schluss formulieren wir gemeinsam Tipps für das Erkennen von Werbung in YouTube-Videos sowie Ratschläge für die Kreation von eigenen Videos.
Im Vorfeld habe ich mich bei den Kindern vergewissert, dass sie die Plattform YouTube kennen und regelmäßig nutzen. Auf meine Frage nach der Häufigkeit des Konsums von YouTube-Videos erzählen mir alle Kinder, dass sie fast täglich schauen, allerdings nur unter elterlicher Aufsicht. Nur eines der Kinder dürfe sich die Videos alleine auf dem Tablet anschauen.
Relevanz von Medienkompetenz bei Kindern
Meine Recherchen im Web sowie in der analogen Welt haben gezeigt, dass Angebote und Leitfäden für Medienkompetenz existieren, die sich primär an Eltern richten und ein bestimmtes technisches Verständnis voraussetzen. Leitfäden, die speziell für Kinder gemacht sind, gibt es kaum. Kinder wachsen auf und entwickeln zwangsläufig einen intuitiven Umgang mit den neusten Technologien, die sie umgeben.
Laut Kinder Medien Studie 2019 schauen 41 Prozent der Kinder im Alter zwischen 6 und 13 Jahren mehrmals pro Woche Videos auf YouTube, 11 Prozent schauen sogar täglich. Die Plattform ist also nicht nur unter Erwachsenen sehr beliebt, sondern vor allem auch bei Kindern und Jugendlichen. Um eine sichere und selbstbestimmte Nutzung von Webangeboten wie YouTube gewährleisten zu können, ist es unbedingt notwendig, Kindern die Kompetenz zu vermitteln, die sie für die kritische Betrachtung und souveräne Anwendung brauchen.
Die Kinder Medien Studie hat zudem über die Einstellung von Kindern zu Werbung herausgefunden, dass 72 Prozent der Kinder zwischen 6 und 13 Jahren die Werbung im Fernsehen als gut bewerten. Ein verschwindend geringer Anteil von einem Prozent gibt an, Werbung im Fernsehen nicht zu kennen. Betrachtet man nun im Vergleich die Einstellung zu Werbung auf dem Smartphone, Computer oder auf dem Tablet, so finden durchschnittlich 13 Prozent der Kinder Werbung auf diesen Geräten gut.
Interessant ist allerdings die Tatsache, dass mehr als 30 Prozent der Kinder überhaupt nicht in der Lage sind, Werbung auf diesen Geräten zu erkennen. Hier wird deutlich, wie schwierig es für das junge Publikum ist, zwischen Inhalt und Werbung zu unterscheiden. Außerdem spielt die Wahl des Endgeräts ebenfalls eine große Rolle: An der Stelle, wo das Fernsehprogramm offensichtlich kennzeichnet, was genau Werbung ist, wird die Kategorisierung der Inhalte auf dem Smartphone und Computer den Zuschauer*innen überlassen.
Plattformenspezifische Zahlen zu YouTube belegen, dass die Kinder hier in zwei Lager gespalten sind: 47 Prozent finden Werbung gut, 45 Prozent finden Werbung nicht gut. Lediglich 5 Prozent der Kinder erkennen keine Werbung auf der Plattform. Aus der Studie ist nicht ersichtlich, welche Form der YouTube-Werbung die Kinder damit meinen. Meine Vermutung, die sich während des Workshops bestätigt hat, ist, dass es sich um klar ersichtliche Werbung in Form von Werbeszenen handelt und nicht um Produktplatzierungen innerhalb des eigentlichen Videos.
Mangelhafte Kennzeichnung und schwer erkennbare Produktplatzierung
Nachdem wir uns über Begrifflichkeiten ausgetauscht haben und zu der Erkenntnis gekommen sind, dass YouTube anders als Fernsehen keinem geregelten Sendeplan oder übergeordneter Kontrolle unterliegt, zeige ich den Kindern das erste Video einer Mini-Influencerin. Es wird schnell klar, dass die Kinder vorgeschaltete Werbung und Videoinhalt auf YouTube voneinander unterscheiden können. Bereits während der ersten Sekunden der Werbung zu Beginn des Videos machen die Kinder mich durch lautes Schreien darauf aufmerksam, dass sie hier die Werbung sofort erkannt haben. Ihnen ist bewusst, dass am Anfang des Videos Werbung geschaltet wird und dass Werbung etwas verkaufen will. Sie sehen sich selbst allerdings nicht immer als Adressaten: „Ich sehe auf YouTube immer Werbung vor dem Video und mitten im Video. Wenn man ein Video guckt, dann stoppt das Video einfach mittendrin und es kommt Werbung zum Beispiel für Waschmittel oder schicke Kleider oder Hosen.“ Auf meine Frage, ob diese Art von Werbung den Kindern gefällt, zeigen sie sich wenig beeindruckt: „Die Werbung ist nervig und man kann die zum Glück nach fünf Sekunden weg machen.“
Alles Ava: DA würde ich gerne einziehen 😍 BABY BORN SURPRISE Flaschen Haus | YouTube, 08.09.2019, https://youtu.be/GbmYmXIhxMg
Die Mini-Influencerin im ersten Video ist ein sechsjähriges Kind. Sie schwärmt davon, wie toll die neuen Spielzeuge sind, die plakativ in die Kamera gehalten werden. Die Reaktionen der Kinder bewegen sich zwischen Neugier, Unverständnis und ablehnender Bewertung der Spielzeuge. „Mir gefällt davon gar nichts. Das sind doch alles viel zu teure Sachen. Wie hat sich das Kind das nur alles gekauft?“ fragt mich eines der Kinder erschrocken. Diese Form von Werbung bezeichnet man als Produktplatzierung. Die Kinder empfinden das stumpfe Zeigen von neuem Spielzeug als „langweilig“ und sind sich größtenteils einig, dass dieses Video als Werbung kategorisiert werden kann.
Die Werbekompetenz der Kinder ist einigermaßen ausgeprägt bei Videos, in denen Mini-Influencer*innen durch Requisiten etwas präsentieren. Wir schauen zwei weitere Videos von Mini-Influencern, in denen Knetmasse gezeigt wird und trickreiche Streiche an Geschwistern verübt werden. Wenn Schleim angerührt wird, Streiche gespielt werden oder ein Unboxing von Spielzeugen gezeigt wird, erkennen die Kinder Markennamen auf Produkten und kategorisieren diese als Werbebotschaften. Eines der Kinder hält fest: „In Streichvideos ist viel Werbung, weil man alle Dinge aus dem Video kaufen muss, um den Streich zu machen und man muss ja immer eine ganze Packung von etwas kaufen auch wenn man gar nicht alles braucht.“
Für Produktplatzierung, die in redaktionelle Inhalte eingebettet ist, sind die Kindern kaum sensibilisiert. Finden im Video etwa Sport, Spiele oder Werbung für Kinofilme und deren Hauptfiguren statt, ist es für die jungen Zuschauer*innen schwieriger zu verstehen, was genau beworben wird. Eines der Kinder schlussfolgert nach meinem mehrfachen Nachfragen nach dem Schauen eines Turn-Videos einer zwölfjährigen Mini-Influencerin: „Für Akrobatik braucht man einen speziellen Anzug und die Eltern haben das gekauft und dann wollen sich ganz viele Kinder den Anzug auch kaufen oder die Matte auf der sie turnt oder die Schweißbänder, die sie hat.“ Tatsächlich hat das Kind mit der Vermutung recht, in der Videobeschreibung finden sich die sogenannten Affiliate-Links zu den getragenen Klamotten der Turnerin sowie zu weiteren Requisiten aus dem Video. Durch Klicken dieser Links erhalten die Influencer*innen bestimmte Provisionen.
Mavie Noelle: vom Bogengang zum FLICK FLACKMavie’s Turnstunde Anfänger | YouTube, 21.06.2017, https://youtu.be/kXlWBRy2Ol8
Tipps und Ratschläge von Kindern für Kinder
Es wird deutlich, dass Kinder im Grundschulalter bereits weitreichende Berührung mit Werbung auf der Plattform YouTube gemacht haben. Sie sind in der Lage, dort Werbung zu erkennen, solange diese nicht in redaktionelle Inhalte eingebettet ist. Das junge Publikum hinterfragt die Werbebotschaften nur vereinzelt, was die Bedeutung von Medienreflexionskompetenz unterstreicht. Die Verflechtungen von redaktionellen Inhalten und kommerziellen Botschaften auf Online-Plattformen sorgen für Verwirrung beim Publikum. YouTube ist nicht dafür geeignet, Kinder mit dem Angebot alleine zu lassen. Eltern sowie Lehrbeauftragte sind in der Verantwortung, die kommerziellen Absichten der Influencer*innen zu thematisieren und Kindern und Jugendlichen bei der sicheren und reflektierten Nutzung von Plattformen wie YouTube zu unterstützen.
Um die gewonnenen Erkenntnisse zusammenzufassen, bitte ich die Kinder mir zu erklären, worauf sie persönlich achten, um Werbung auf YouTube zu erkennen. Der erste Tipp behandelt die unter dem Video aufgelisteten Affiliate-Links zu Produkten: „Unten in der Videobeschreibung stehen blau markierte Wörter, das sind die Produkte, die man kaufen kann. Man kann da draufklicken und die Sachen dort kaufen.“
Der nächste Ratschlag setzt den Fokus auf ein aufmerksames Schauen und das Erkennen von Markennamen: „Wenn in einem Video Markenprodukte gezeigt werden, ist es oft Werbung“. Der dritte Tipp thematisiert die benötigten Utensilien zum Nachmachen von Bastel-und-Streichvideos: „Ich habe in einem Video ein Ladegerät gesehen was man selber basteln kann und dazu muss man alle Produkte kaufen, um das nachzumachen. Das Basteln kann ich erst anfangen, wenn ich in den Laden gegangen bin und mir die gleichen Produkte gekauft habe.“
Wie schwierig es dem jungen Publikum fällt, die Grenze zwischen Werbung und Inhalt zu ziehen, wird nochmal deutlich, als es um die Tipps zur eigenen Videoproduktion geht. Zwei der Kinder haben erste Erfahrungen mit dem selbstständigen Filmen von Videos gesammelt, sie versichern mir allerdings eindringlich, dass sie das nur zum Spaß gemacht haben und es nicht online stellen werden. Ich thematisiere daraufhin allgemeine Sicherheitstipps für das Erstellen eigener Videos und frage die angehenden Videoblogger*innen, wie sie ihre Privatsphäre in Videos schützen können. Das Privatleben ist den Kindern ein Begriff: „Wenn man sagt wo man wohnt, also die Adresse, den Namen und wenn jemand weiß was man für Sachen zu Hause hat, dann kann jemand kommen und die Sachen holen, weil die wissen wo man wohnt.“
Ob sie in ihrem selbst gedrehten Video Werbung gemacht haben, können sie mir nicht beantworten. Als ich explizit danach frage, wie sie Werbung in ihren Videos kennzeichnen würden, haben die Kinder nur eine Idee: „Wie im Fernsehen kann man sagen jetzt kommt Werbung.“ So eine klare Trennung zwischen Werbung und Inhalt wird von Influencer*innen nur eingeschränkt umgesetzt. Die Kennzeichnung von Werbung ist jedoch durch die Aufsicht der Landesmedienanstalten gesetzlich geregelt. Außerdem regelt der Rundfunkstaatsvertrag, dass Inhalte für Kinder werbefrei sind, denn Kindersendungen dürfen nicht durch Werbung oder Teleshopping-Spots unterbrochen werden.
Ethische Zweifel und mangelhafte Umsetzung von Kinderrechten
Zum Ende des Workshops stellt sich nicht nur mir die Frage, inwiefern die Mini-Influencer*innen von ihren Eltern instrumentalisiert werden, um Werbung zu machen, sondern auch den Grundschüler*innen, denn die sind sichtlich schockiert: „Wir wissen nicht ob das Kind das überhaupt will oder ob die Eltern sagen, du machst das jetzt damit wir Geld verdienen.“ Ein anderes Kind ergänzt: „Ich finde das schlimm, dass ich nicht weiß ob die Eltern das Kind zwingen dazu oder nicht.“ Das Thema polarisiert und regt zum Nachdenken an. Für Eltern sollte die Betreuung der Kinder beim Schauen von YouTube-Inhalten selbstverständlich sein.
Die aktuelle Intransparenz zwischen Influencern und deren Publikum muss bei Verstößen gegen die Werbekennzeichnungspflicht, konsequent mit Sanktionen seitens der Behörden geahndet werden. Außerdem ist Medienkompetenz in unserer digitalisierten Welt eine Schlüsselkompetenz, die für Lehrbeauftragte, Eltern sowie Kinder unabdingbar ist um selbstbestimmte Zuschauer*innen auszubilden.
Tipps für weniger Werbung auf YouTube
- Für inhaltlich werbefreie YouTube-Videos: Öffentlich-rechtliche Sender sind gesetzlich verpflichtet Kinderangebote werbefrei zu halten.
- Für Webnutzer aller Altersklassen: Ad-Blocker als Browserergänzung installieren. Dadurch entfallen die Werbeeinspieler vor und zwischen den Videos auf YouTube, sowie Banner und Pop-Ups auf Websites.
*Namen von der Redakteurin geändert
© Fotos Zoe Weiß